In den überlieferten Märchen sind versteckte Botschaften enthalten, die mit entsprechenden Schlüsseln erschlossen werden können:
Das Märchen Dornröschen beginnt mit dem Königspaar, das sich sehnlichst ein Kind wünscht, doch keines bekommt.
Natürlich ist die Königin schuld, weil sie sich nicht hingeben kann, wie es von ihr verlangt wird.
Im Königreich regiert die männliche Seite des Lebens: Aktivität, Produktion und Leistung und die weibliche Seite, wie Empfangen, wachsen und gedeihen lassen haben dort nichts zu sagen.
Ein Frosch (Sexualität) kriecht vom Wasser (Unbewusste) an Land (Bewusstsein) und bringt der Königin in ihrem Bad (ein Symbol der Empfängnis), die gute Nachricht, dass sie nach einer langen Zeit des Wartens endlich ein Kind bekommen wird.
Die Königin gebar ein wunderschönes Mädchen, in welchem der König die Weiblichkeit und Harmonie fand, die er bei seiner Königin bisher vermisst hatte, weswegen sie auch so lange nicht schwanger wurde.
Voller Freude lud er alle zu einem großen Fest ein. Weil er aber nur 12 (Monate nach dem Sonnenkalender) goldene Teller hatte, wurde die Dreizehnte der weisen Frauen (dreizehn Mondzyklen) nicht eingeladen. Das Weibliche wurde nicht beachtet und somit aus dem Leben verdrängt und ausgeschlossen.
Nachdem die 13. Fee ihre Verwünschung übermittelt hatte, ließ der unwissende König, alle Spindeln in seinem Reich, die eine Blutung (Menstruation)herbeiführen könnten, vernichten.
Die Königin unternimmt nichts, weil sie weiß, dass die Pubertät trotz Verbotes stattfinden wird.
Als Dornröschen in die Pubertät kommt, erforscht sie alle Zimmer im Schloss (Körper). Sie steigt die Wendeltreppe (sexuelle Erfahrung) des Turmes (Selbständigkeit) empor und öffnet die verschlossene Tür.
Sie trifft auf die alte Frau im Oberstübchen, die spinnt (denkt). Nun beginnt der Zauber.
Die Spindel (das Wesen Dornröschens) hüpft so lustig und ist lebendige Lust und Freude. Dornröschen greift zur Spindel( Verlangen nach eigenem Denken). Der Zauberspruch geht in Erfüllung. Die Königstochter sticht sich und mit ihr fällt der ganze Hofstaat in einen tiefen Schlaf.
Die Spindel an der sich Dornröschen sticht, ist ihr Innerstes Wesen und ihr Denken, das der König verbrennen ließ und das nun verletzt wird. In seinem Reich ist Spinnen nicht wichtig.
Nachdem Dornröschen eine Weile nur die männliche Seite gelebt hatte, die sich nach außen richtet und mit allem beschäftigt, nur nicht mit sich selbst, hatte die weibliche Seite die Verbindung zum Leben verloren. Um im Schlaf die weibliche Seite wieder zu integrieren, ist im Märchen eine Zeit von hundert Jahren nötig.
In diesem 100 Jahre lang erscheinenden Schlaf ist sich der Mensch selbst fremd und er findet keinen Kontakt zu seiner Umwelt. Es laufen aber trotzdem im Inneren bedeutende Prozesse ab.
Um diese Inneren Kräfte zu meistern, kann Rückzug, aber auch Rebellion der richtige Weg sein. Eine Reifung muss stattfinden, da die Selbstbezogenheit die übrige Welt ausschließt. Durch Leiden werden Gefühle erlebt und die Vielfalt des Lebens wird wieder erfahrbar.
Viele, die verzaubert wurden, ob sie schliefen oder in Steine verwandelt wurden, mussten warten, bis die Zeit reif war um wieder zum Leben zurückzukehren.
Alle Jünglinge, die zu früh versuchten, durch die undurchdringliche Dornenhecke (das Unbewusste) hindurch zu dringen, starben.
Als die Zeit reif war, öffnete sich die Hecke, das unlösbare Problem, von selbst und blühte. Der Prinz (das männlich-geistige Prinzip) küsste Dornröschen, eine Wandlung geschah und es öffnete die Augen und erwachte.
Im Zeichen der Rose wird die Liebe, das höher entwickelte Ich, durch einen Kuss des Königsohnes, erweckt. Dornröschen ist wieder in ihrer Mitte und das Rad des Lebens kann sich weiter drehen.
Ohne eigene Schuld wurde Dornröschen ins Schicksalsrad (zum Spinnrad = Denken)gezogen und aus Gnade wieder erlöst.
Quellen: Friedel Lenz, Bildsprache der Märchen.
Bruno Bettelheim, the uses of enchantment
http://www.maerchenapfel.de/dornroeschen/interpretation.html